"Wenn sich schlechte Menschen zusammentun und eine Macht bilden, so müssen die ehrlichen Menschen das Gleiche tun. So einfach ist das."
Lew Tolstoi "Krieg und Frieden"

Gedanken zu der "world peace conference" in Hamburg am 5. Mai 2003 von Astrid Vehstedt
Als Bürgerin dieses Landes war mir die Teilnahme an der  world peace conference im Hamburger Rathaus ohne eine Organisation oder entsprechendes Amt im Rücken besonders willkommen. 
Die friedlichen Demonstrationen der Bürgerbewegungen im Jahre 1989 hatten den Fall des Eisernen Vorhangs vollendet, der durch die Politik von Glasnost und Perestroika die ersten Risse bekommen hatte. Aber gerade dieses Frühjahr hat wiederum gezeigt, dass selbst ein globaler Appell zur Friedensbereitschaft ungehört bleibt.
In seiner Eröffnungsrede brachte der österreichische Bundeskanzler a.D. Franz Vranitzky seine Hoffnung zum Ausdruck, dass von dieser Konferenz ein Impuls in die Welt gehen möge. Es mag dem Zeitgeist entsprechen, dass das "Event" mit Persönlichkeiten aus Film, Sport und anderen Disziplinen, das im Anschluss an die Konferenz stattfand, dem Anliegen einer Friedensbotschaft mehr Aufmerksamkeit und Glanz verlieh, als die Anwesenheit und die Beiträge derjenigen, deren Entscheidungen in den vergangenen Jahren unser Weltbild entscheidend geprägt haben. Das stimmt nachdenklich. Aber Glanz verblasst schnell und "Events" werden vergessen. Was also bleibt ? Eine Konferenz wird meistens mit einem Abschlusscommuniqué beendet, oder sie hat einen begleitenden Moderator, der das geistige Band zwischen den einzelnen Beiträgen herzustellen vermag. Das fehlte hier, und in einer Welt mit immer rasanteren Kommunikationsflüssen  werden gerne die Zusammenhänge und Hintergründe vergessen. Auf der Konferenz wurde diese Problematik u.a. von den Referenten von "swisspeace" angesprochen.
Es mag vielleicht ein Phänomen von Friedenskonferenzen sein, dass auf ihnen in erster Linie vom Krieg oder über den Krieg gesprochen wird. So auch hier. Dr. Heinz Krummenacher sprach von einer "inflationären Benutzung" des Begriffs "Terrorismus" in unserer Zeit. In diesem Zusammenhang sei auf die Formulierung von Franz Vranitzky in seiner Eröffnungsrede hingewiesen, der von einer "Antwort auf den Terrorismus" sprach. Wem im Gegensatz dazu der "Krieg gegen den Terror" leicht über die Lippen geht, sollte sich bewusst machen, dass die Kriegführung bereits in der Spreche beginnt und man gleichermassen auch verbal abrüsten kann. Die Frage, die in diesem Zusammenhang zu stellen ist, lautet, wie denn eine "Antwort auf den Terrorismus" aussehen kann, ohne dass sich die Spirale der Gewalt weiterdreht ? Gerade in unserer  Tradition sollte über den alttestamentlichen Begriff der Vergeltung nachgedacht werden, der in einem "Krieg gegen den Terror" nur zu deutlich zum Ausdruck kommt. Das bedeutet keinesfalls, Massenmörder ungestraft zu lassen. Es bedeutet nicht, einfach hinzunehmen, dass man Menschen, die anderen nach dem Leben trachten und damit Aufmerksamkeit für irgendwelche Ziele suchen, in ihrem grausamen Tun einfach gewähren lässt. Doch wie sähe unser junges Jahrtausend aus, hätten die USA eine andere Antwort auf die Terroranschläge gefunden, als den Krieg gegen den Irak, der wiederum unzählige Menschenleben kostet, die amerikanischen Soldaten miteingeschlossen ? Was kann dem internationalen Terrorismus den Boden entziehen ? Wären diese Überlegungen nicht auch einen Beitrag auf einer Friedenskonferenz wert ?
Wenn man über den erschütternden Bericht von Jay Jonas über den 11. September nachdenkt, dann bekommt der ganze Schrecken dieses Tages ein menschliches Gesicht. Trotzdem gab es von ihm keinen Ruf nach Vergeltung. Der Krieg im Irak hat dieses menschliche Gesicht nicht, soweit wir die Berichterstattung in den Medien verfolgen. Er bekommt dieses Gesicht aber durch Berichte wie die von Beate Malkus aus dem Irak. Bei ihrem Beitrag stellt sich die Frage, welche Hypothek den nachfolgenden Generationen auferlegt wird, wenn Gebiete des Irak von Uranmunition verseucht sind, in denen die Bevölkerung weiterleben muss und damit doppelt zum Opfer wird : zum einen durch die langjährige Tyrannei eines Saddam Hussein, zum anderen durch die Waffen ihrer "Befreier". Auch in Deutschland sind wir weiterhin mit den Folgen des 2. Weltkriegs konfrontiert : noch immer werden Bomben aus dieser Zeit gefunden und entschärft.  Was wäre, wenn diese Bomben damals mit radioaktivem Material bestückt gewesen wären ?  Dieses Gesicht des Krieges wird uns jedoch verschwiegen. Opfer haben nach wie vor keine Lobby. Ebensowenig hat es eine Nachkriegszeit. Sie scheint im Vergleich zu den kriegerischen Ereignissen für eine Berichterstattung unspektakulär.

Ähnliches gilt auch für den Bericht von Irmgard von Lehsten (UNICEF) über die Kindersoldaten in Afrika, die, gewaltsam und unter Drogen gesetzt, zum Töten "erzogen" werden. Das Töten richtet sich auch gegen ihre eigenen Familien, damit die Kinder niemanden mehr haben, zu dem sie zurückkehren können. Die Tragödie dieser Kinder macht keine Schlagzeilen - bis jetzt zumindest.

Aussenminister a.D. H.-D. Genscher sprach in seiner Rede davon, dass es auf dieser Welt keine entfernten Gebiete mehr gäbe. Was bedeutet das für uns gegenüber der Gewalt, die sich in einer immer enger zusammenrückenden Welt abspielt ? Er stellte die Frage, wann der Vorkrieg begänne und beantwortete sie mit Überheblichkeit und Vorurteilen als Merkmalen einer Vorkriegssituation, die es zu überwinden gälte. Ausserdem solle in einer friedlichen "globalen Welt" die Stärke des Rechts gelten gegenüber des Rechts des Stärkeren. Welche Rechte also haben Kinder, die zum Töten gezwungen werden, und wer klagt diese Rechte für sie ein ?
Auch wenn die nachdenklichen und vielleicht düsteren Worte in der Abschlussrede von Präsident Michail Gorbatschow schnell wieder von dem Glanz des "Events" überstrahlt wurde, sollten sie nicht vergessen werden. Die Lösung von Problemen beginnt damit, dass man ihnen ins Gesicht sieht, auch wenn dies ein durchaus schmerzlicher Prozess sein kann. Durch das Anschauen verlieren Probleme auch einen Teil ihres Schreckens. Michail Gorbatschow sprach in seiner Abschlussrede von zehn verlorenen Jahren, die dazu hätten genutzt werden müssen, unsere Welt zu einem besseren und lebenswerteren Ort zu machen. Ähnlich wie auch vor ihm Lech Walesa war er der Auffassung, dass eine neue Welt nicht mit alten Methoden gestaltet werden kann. Die nukleare Abschreckung des Kalten Krieges, die das Schreckensbild einer totalen, unwiderruflichen Zerstörung unseres Planeten durch die riesigen Waffenarsenale heraufbeschwor, endete mit den friedlichen Veränderungen, die den Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer bewirkten. Aber mit dem Verschwinden alter Feindbilder wuchsen sogleich neue und die Waffen sind seitdem nicht weniger geworden.
Die globalen Umwälzungen, die diese Ereignisse mit sich brachten, haben auf lokaler Ebene zu neuen Konflikten und Kriegen geführt. Es bedarf der nachhaltigen Kräfte vieler, damit der Frieden ebenfalls zu einer Macht werden kann, wie es das Zitat von Tolstoi andeutet. Einige Säulen einer nachhaltigen Friedenspolitik sind, so jedenfalls wurde es auch dieser Konferenz deutlich, humanitäre Organisationen wie UNICEF oder ai. Ihre erschütternden Berichte über ihre Arbeit in Krisengebieten lassen ahnen, wieviel Arbeit und Energie aufgebracht werden muss, um endlich auch einem globalen Frieden ein Gesicht zu geben. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass die "world peace conference" nicht nur fortgeführt wird, sondern auch weiteren Zulauf findet, dass neben den "Events" auch eine weitergehende, ernsthafte Arbeit geleistet wird.



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